Die SPD am Scheideweg: Kann die „Rote Tante“ noch einmal auferstehen?

„Was fällt dir ein, wenn ich das Wort SPD sage?“, frage ich eine Freundin, die gerade ihr erstes Mal wählen darf. Sie zögert, sucht nach Worten. „Die Partei der Vernunft. Für Menschen, die nicht zu extrem sind.“ Ihre Antwort spiegelt wider, was viele junge Wähler:innen heute empfinden: Die SPD wirkt wie eine politische Institution aus einer anderen Zeit – brav, verwaltet, ohne Feuer. Doch das war nicht immer so.

Vom Revolutionär zum Verwaltungsapparat: Eine historische Schizophrenie

1869 in Eisenach gegründet, um das System aufzuwirbeln, war die SPD einst die Speerspitze des Protests. Sie erkämpfte das Frauenwahlrecht, stemmte sich 1933 als einzige Partei gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz und prägte die Bundesrepublik als Hüterin der Sozialstaatlichkeit. Doch der Status-Quo erzählt eine andere Geschichte: Die Agenda 2010 unter Schröder markierte einen Bruch, aus der Arbeiterpartei wurde eine technokratische Mitte-Partei, die sich im Dreieck aus Globalisierung, Neoliberalismus und Medienecho verfing. Die Folgen? Eine entkernte Programmatik. Heute fehlt der SPD ein klares Profil – weder ist sie Garant für soziale Gerechtigkeit noch Vorreiterin irgendeiner Transformation. Wie denn auch, die SPD war in den letzten 30 Jahren 22,5 Jahre Regierungspartei. Und jetzt ist sie mitten in Verhandlungen für eine Regierung, die jetzt schon eine der unbeliebtesten Regierungen jemals sein könnte.

Die vier Krisensymptome – und wie die SPD sie überwinden könnte

1. Haltung: Die Kunst des Widerstands im eigenen Lager

Die FDP zeigte unter Lindner, wie man als Juniorpartner medienwirksam blockiert und Lisa Paus’ Blockade für die Kindergrundsicherung demonstrierte, dass Haltung für linke Politik beliebt sein kann. Das heißt Regierung bedeutet nicht gleich jegliche Werte verlieren. Wieso Opposition in der Regierung bei der FDP nicht funktioniert hat, lag vorallem daran das sie Politik gegen die eigene Bevölkerung gemacht hat - und mit der Union & der AfD gab es dann auch eine glaubwürdigere Alternative für rechte Politik. Wenn die SPD sich als Verteidigerin des Sozialstaat positionieren kann, hat sie Chancen auf Erfolg. Denn die SPD muss einsehen das die Union sie genauso braucht, wie sie die Union. Vielleicht sogar etwas mehr, da die Union als Kanzlerpartei ihr Gesicht herhalten muss.

 Die SPD braucht also mutige Rebellen, die klare Kante zeigen – nicht nur gegen Union und AfD, sondern auch gegen neoliberale Schlagseiten in den eigenen Reihen. Ein Beispiel? Eine konsequente Vermögensteuer, die nicht am Widerstand der Finanzminister:innen zerschellt.

2. Kernwählerschaft: „A Friend to All Is a Friend to None“

„A Friend to All is a Friend to None“, singt Taylor Swift in ihrem Song “Cardigan” und beschreibt damit einen Teen Jungen, der sich einfach nicht commiten kann und im Prozess seine wahre Liebe verliert. Ähnlich kann die SPD sich nicht auf eine Wähler:innengruppe beschränken und verliert dabei ihre Basis.

Die SPD verlor ihre traditionelle Basis: Nur noch 14 % der Arbeiter:innen wählen sie (Infratest, 2023). Stattdessen buhlt sie um urbanes Bildungsbürgertum – und überlässt die Peripherien der AfD. In den USA zeigte sich dieses Dilemma bei den Demokraten: Als sie die „Blue-Collar“-Wähler vernachlässigten, gewann Trump. Die SPD muss ihre sozialen Narrative zurückerobern: Wohnen, Gesundheit, Löhne. Nicht als Bittstellerin, sondern als Kämpferin. Die SPD möchte die Partei für alle sein, aber vergisst dabei das es für jede Gruppe inzwischen eine  bessere Alternative gibt. Die verlorene Arbeiter:innenschaft gewinnt sie aber nicht mit rassistischen Parolen, sondern mit konsequenter sozialer Politik. 

3. Kommunikation: Vom Defensivmodus zur Deutungshoheit

Die SPD reagiert – sie agiert nicht mehr. In der Migrationsdebatte spricht sie von Menschenrechten als „Last“, anstatt zu betonen, wie Zuwanderung den Sozialstaat stützt (Studie IMIS: 2024). Damit übernimmt sie die Sprachbilder der Rechten – und stärkt paradoxerweise die AfD. Aber seit jeher muss die SPD konstant, sie hat kaum mehr eigenen Gestaltungswillen. Seit der letzten GroKo unter Merkel spricht die SPD nurnoch von Verpflichtungen, von Staatsverantwortung. Leider zieht dieses narrativ nicht mehr, wenn immer mehr Menschen das Vertrauen in Staat und Instutionen verlieren. Laut der Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung vertraut nur noch eine sehr knappe Mehrheit der Demokratie. Kein Wunder wenn SPD wählen, heutzutage AfD bekommen heißt. Die SPD muss endlich echte Lösungen auf echte Probleme anbieten und sich trauen komplexen Antworten anzubieten. Doch Heidi Reichineks TikTok-Kommunikation zeigt, dass es auch möglich ist komplexe Sachvorgänge von links runterzubrechen. Es braucht offensive Kampagnen: Warum nicht eine „Sozialdividende“ für alle einführen, finanziert durch Milliardärssteuern?

4. Populismus von Links: „Weniger Vernunft wagen“

Seit einiger Zeit verfestigte sich der Grundsatz Michelle Obamas “If they go low, we go high!” immer mehr zum Grundsatz progressiver Parteien weltweit. Die SPD fürchtet den Vorwurf des Populismus – doch genau darin liegt ihr Fehler. Linke Politik muss emotionale Bilder schaffen: Ein „Reichtumsregister“, ein „Mieten-Notstandsgipfel“, ein „Klima-Bürgergeld“. Die britischen Labour-Gründungsklubs des 19. Jahrhunderts verstanden das: Sie waren nicht nur politisch, sondern auch kulturell verankert – mit Chören, Zeitungen, Bildungsangeboten. Die SPD dagegen wirkt wie ein Büro für Verwaltungsoptimierung. Populismus bedeutet nicht zu lügen, es bedeutet seine Inhalte für die breiten Massen aufzubereiten und neue Kommunikationswege zu finden.

Die Systemfrage: Kann die SPD den Kapitalismus noch kritisieren?

Das größte Tabu liegt in der Wirtschaftspolitik. Seit Schröders „Neuer Mitte“ ist die SPD gefangen im Dilemma des „Wohlfahrtskapitalismus“: Wenn überhaupt möchte sie Umverteilung verwalten, ohne die Spielregeln infrage zu stellen. Doch echte soziale Gerechtigkeit erfordert Systemkritik – etwa an der Macht der Konzerne. Warum nicht Lobbyismus gesetzlich begrenzen? Oder eine „Demokratische Unternehmensverfassung“ einführen, die Arbeitnehmer:innen mehr Mitsprache gibt? Für ein neues Zeitalter braucht es auch neue Forderungen & Strategien. Der SPD würde es auch mal gut tun statt über Abschiebung, über “Die 4-Tage-Woche” zu sprechen.

Die SPD zwischen Nostalgie und Neuanfang

2021 schien ein Hoffnungsschimmer: Scholz’ Wahlsieg mit dem Slogan „Respekt“. Doch Respekt allein reicht nicht. Die SPD steht vor einer Wahl: Will sie weiter als Koalitionsverwalterin dahindämmern – oder als Macherin eines neuen aufschwungs der Linken zurückkehren, die soziale und ökologische Kämpfe verbindet?

Die Antwort liegt in ihrer Geschichte. Vor 150 Jahren war die SPD nicht „vernünftig“ – sie war radikal, unbequem, voller Utopien. Vielleicht braucht es genau das heute: Eine Partei, die nicht verwaltet, sondern neu träumt - aber vielleicht ist dieser Traum schon lange Tod und wir müssen einsehen das wir die SPD schon verloren haben. Der von Lars Klingbeil angekündigte Generationenwechsel wird es zeigen, aber aktuell sieht es so aus als würde dieser Wandel bei einer programmatischen Neuausrichtung halt machen.


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